Der Spiegel des Menschen

Zur Zeit ist es im Westen aus verschiedenen Gründen en vogue, den Islam und gleichzeitig den Qur’an zu bashen. Teils geschieht dies aus Marketinggründen, wie zum Beispiel bei Alice Schwarzer und anderen, um neu erschienene Bücher zu promoten. Und damit die Verkaufszahlen zu erhöhen, die ansonsten diese zur Zeit unbedeutenden, alternden ‚Popstars’ nie erreichen würden. Mit dem Schüren von unbewussten Ängsten wird hier manipulativ ein Bedrohungsszenario aufgebaut, dass meist jeder Faktenlage entbehrt. Das Marketingprinzip der Sarrazinierung greift hier voll. Noch vor etwa 20 Jahren wären entsprechende Publikationen in der berechtigten Bedeutungslosigkeit versunken, da sie keine Pawlovsche Glocke darstellten. Die Zeiten haben sich jedoch geändert.

Teils geschieht dies aber auch aus politischen Gründen, da nach dem Wegfall des Feindbildes ‚Kommunismus‘ ein anderes Feindbild herhalten musste. Dieses Feindbild wird benötigt, um vom Erkennen der wirklich bedeutungsvollen Gegensätze abzulenken. Feindbilder und die entsprechende Konditionierung helfen in der Auseinandersetzung von der tatsächlichen Konfliktlage abzulenken. Das taktische Motto ‚teile und herrsche‘ postulierten bereits die antiken Römer.

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Das Walnussgleichnis

Diese irdische Welt ist eine Karawanserei auf dem Wege zu Gott, und alle Menschen finden sich in ihr als Reisegenossen zusammen. Da sie aber alle nach demselben Ziele wandern und gleichsam eine Karawane bilden, so müssen sie Frieden und Eintracht miteinander halten und einander helfen und jeder die Rechte des anderen achten. (Al-Ghazālī, Das Elixier der Glückseligkeit, Einleitung zum Kapitel- von dem rechten Umgang mit den Menschen, S. 75)

Wer einmal eine Reise mit einer bunt zusammengewürfelten Reisegruppe unternommen hat, weiß, dass ‚Frieden und Eintracht‘ in einer solchen Gruppe nicht einfach so entstehen. Ohne ein Regelwerk entgleitet jede Reise schnell zu einem Höllentrip. Ein solches Regelwerk wird auch für die spirituelle Reise benötigt, und zwar nicht nur für die Gruppe insgesamt, sondern auch für einen Einzelnen. Damit eine Reise gelingen kann, zumindest wenn sie ein Ziel hat, benötigt der Reisende einige Dinge. Zum Beispiel das Wissen um die Etappen der Reise wie Al Ghazali ausführt: „ dies alles musst Du wissen, um auch nur ein wenig von Dir selbst zu erkennen. Wer aber dies nicht weiß, der wird auf dem Weg des Glaubens Beschämung finden, und das wahre Wesen der Religion wird ihm verborgen bleiben. (Al-Ghazālī, Das Elixier der Glückseligkeit, aus dem Kapitel – von der Selbsterkenntnis, S, 36/37)

Der berühmte Sufi-Meister Abū Ḥāmid Muḥammad ibn Muḥammad al-Ghazālī stellt in seiner Schrift „Kimiya-yi Sa’ādat (Persisch: كيمياى سعادت, Das Elixier der Glückseligkeit) die Analogie der menschlichen Entwicklung im religiösen Kontext des Islam und einer Walnuss dar.

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Klage und Selbsterkenntnis

„Du beklagst dich bei Gott, über mich, Wissender, warum? Beklage dich über die Bosheit deiner verdorbenen nafs.“  Alī ibn Abī Ṭālib

Das Konzept der nafs bildet einen festen Bestandteil der Arbeit des Sufismus/tasawwuf. Immer wieder ist das Leben so freundlich und erinnert uns daran, dass es angebracht sein könnte, sich erneut mit einem vermeintlich zurückliegenden Thema zu beschäftigen. Zum Beispiel mit dem Konzept der nafs und ihrer Arbeitsweise. Beinahe amüsant wird es, wenn es sich bei dem auftretenden Anstoß um eine Materialisierung des ‚Dunning-Kruger-Effektes’ handelt.

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Hazrat Kolumbus

Hazrat Inayat Khan und Christop Kolumbus teilen ein ähnliches Schicksal. Beide wurden lange Zeit in ihrem Bereich als ,Erster’ bezeichnet und sind eigentlich  jeweils wegen anderer Dinge wichtig. Bei beiden besteht inzwischen kein Zweifel, dass sie nicht ,Erste’ waren. Sie waren noch nicht mal ‚Zweite‘. Und es gibt eine Menge weiterer Parallelen.

Bei Kolumbus stellte sich inzwischen heraus, das Amerika weit vor ihm von Europäern ,entdeckt’ worden ist. Die Wikinger haben nachweislich lange vor Kolumbus Seereisen von Europa aus nach Amerika unternommen. Aber selbst wenn die Wikinger als ,Erste’ gelten sollten, offenbart sich damit nur der eurozentrische Blickwickel des Kolonialismus. Sowohl die Wikinger als auch Kolumbus trafen in Amerika auf Menschen. Diese sogenannten ,Indianer’ haben den Erdteil weit vorher entdeckt, denn sonst wären sie dort nicht angetroffen worden. Ihnen gebührt ohne Zweifel die ,Erstheit’, wenn es denn unbedingt eine geben muss.

Diese ,Erstheit’ hat tragischerweise die eigentliche Leistung von Kolumbus überlagert. Seine  großartige Leistung bestand eher darin, dass er entdeckte, dass es ein Windsystem gibt, das ihn von Ost nach West transportierte und umgekehrt. Eine Art Pater Noster, der für eine relativ problemlose Reise hin und zurück sorgt. Alle Atlantiküberquerungen nach Kolumbus stützen sich auf diese Erkenntnis. Eine Erkenntnis, die danach perfektioniert wurde und letztendlich die Welt grundlegend veränderte.

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Die Hälfte des Himmels

In einem Newsletter von 2018 des Inayati Ordens wurde eine interessante Nachricht verbreitet, die im Grunde eigentlich längst überfällig war und doch ein deutliches Zeichen setzt. Die älteste Tochter und erstgebornes Kind von Hazrat Inayat Khan Pirzadi-Shahida Noor-un-Nisa Inayat Khan wurde als berechtigte Linienhalterin in die Kette der Überlieferung / silsila zwischen ihrem Vater und seinem Nachfolger Pir Vilayat Khan eingefügt. Die Nachricht ist von erfreulicher Sachlichkeit ohne Polemik geprägt und enthält die Begründung für diesen Schritt. Der Inayati Orden/tariqa ist zu diesem Schritt zu beglückwünschen und wird vielleicht für weitere Orden/turuq ein Beispiel sein können. Leider erfolgte dann der anscheinend übliche Schritt, dem Mitglieder der Inayatiyya offensichtlich reflexartig verfallen. In typisch Neo-Sufischer Tradition wird in einem offiziellen Rundschreiben eines Zweiges der deutschsprachigen Inayatiyya der og. Schritt als einmalig und absolut unüblich gepriesen. Es hätten im ,Geflecht der Linien der Überlieferungen soweit offiziell bekannt’ bisher ausschließlich Männer in der Überlieferungskette gestanden. Garniert wird der Text mit der Aussage, dass bis heute in vielen traditionellen SufiOrden/turuq Frauen nicht einmal Zutritt hätten.

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Lass die Menschen gedeihen

Süleyman I, der einst über ein riesiges Reich herrschte, stellte sich eines Tages die Frage, aus welchen Gründen ein Staat wohl untergehe könne. Diese Frage richtete er hilfesuchend an den Sufi-Meister Yahya Efendi, der in einem Brief lediglich antwortete: ,Was geht mich das an?’

Anstelle ihn zu bestrafen, wie es Despoten und Tyrannen üblicherweise tun, suchte Süleyman den Sheikh auf und wollte den tieferen Sinn hinter der knappen, scheinbar respektlosen Antwort erfahren.

Sheikh Yahya Efendi erklärte nun: „Wenn die Unterdrückung sich in einem Staat ausbreitet, die Ungerechtigkeit offenkundig wird und diejenigen, die davon hören, sagen: .Was geht mich das an?’, und zusätzlich die Schafe nicht von den Wölfen, sondern von den Hirten gefressen werden und diejenigen, die das wissen, schweigend vorübergehen; wenn der Hilferuf der Armen, Bedürftigen, der Alleinstehenden zum Himmel hinaufsteigt, und niemand außer den Steinen diesen Hilferuf vernimmt – nun, dann geht ein Staat unter. […] All diese Dinge fangen damit an, dass man sagt ,Was geht mich das an’. Deshalb ist es erforderlich, ,Was geht mich das an’ nicht zu sagen.“

Obwohl es im Sufismus / tasawwuf eigentlich üblich ist, sich weniger mit tagespolitischen Themen zu beschäftigen, drängt sich diese Geschichte über Sheikh Yahya Efendi aktuell auf. Die weltpolitischen Wetterlage ist dazu angetan, einen wichtigen Rat nicht aus den Augen zu verlieren, den Mullah Nasrudduin seinen Schülern einst gab. Einer der Schüler Mullah Nasruddins fragte:
„Welche Leistung ist höher zu achten: die eines Sultans, der ein fremdes Land erobert hat, die eines Sultans, der es hätte tun können, aber darauf verzichtete, oder die eines Mannes, der einen Sultan davon abgehalten hat?“

„Keine Ahnung“, sagte der Mullah, „aber ich kenne eine Aufgabe, die noch schwieriger ist als alle drei zusammen.“
„Und welche ist das?“
„Euch beizubringen, die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind.“

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Außen wie Innen?

Das Leben des Menschen, der das innere Leben lebt, wird wie das Leben eines Erwachsenen, der unter vielen Kindern lebt. Dennoch scheint es nach außen hin keinen so großen Unterschied zu machen, wie er sich im unterschiedlichen Lebensalter zwischen Kindern und Erwachsenen zeigt, weil der Unterschied im Entwicklungszustand des Bewusstseins besteht, der nicht immer offensichtlich zu erkennen ist. Jemand, der das innere Leben lebt, erreicht ein viel höheres Alter als die ihn umgebenden Menschen, und dennoch ist seine äussere Erscheinung wie die jedes anderen Menschen. Deshalb eignet sich jener Mensch, der die Fülle des inneren Lebens verwirklicht hat, eine vollkommen andere Lebensführung an als derjenige, der gerade erst den Pfad betritt, oder derjenige, der intellektuell etwas über das innere Leben weiß, es aber nicht wirklich lebt. 

Aber für denjenigen, der die Fülle des inneren Lebens erreicht, ist es eine große Freude, mit seinen Mitmenschen umzugehen, so wie es für Eltern eine Freude ist, mit ihren kleinen Kindern zu spielen. Es sind die schönsten Augenblicke in ihrem Leben, wenn sie selbst  unter ihren Kindern wie Kinder fühlen und an deren Spiel teilhaben dürfen. Gütige und liebevolle Eltern werden sich so verhalten, als wurden sie Tee trinken, wenn das Kind eine Puppentasse bringt, und als wurden sie sich darüber freuen; sie lassen in dem Kinde weder den Gedanken aufkommen, dass sie etwas Besseres seien, noch, dass dies etwas ist, woran sie eigentlich nicht teilhaben sollten. Sie spielen mit dem Kind, und sind mit ihm glücklich, denn das Glück des Kindes ist auch ihr eigenes.

Dies ist die Handlungsweise eines Menschen, der das innere Leben lebt, und aus diesem Grund stimmt er mit Menschen aller Entwicklungsstufen überein und harmonisiert mit ihnen, einerlei was für Vorstellungen, Gedanken, was für einen Glauben und welches Bekenntnis sie auch haben mögen; einerlei wie sie beten oder ihre religiöse Begeisterung zeigen. Er sagt nicht: „Ich bin sehr viel! entwickelter, als ihr es seid, und mit euch zusammen zu sein, wurde für mich einen Rückschritt bedeuten.“ Derjenige, der schon so weit vorangegangen ist, kann niemals mehr zurückgehen, aber wenn er mit ihnen zusammen geht, nimmt er sie mit vorwärts. Ginge er alleine weiter, so würde er merken, dass er seiner Pflicht gegenüber seinen Mitmenschen ausweichen wurde, die er eigentlich erfüllen sollte. Der leere Krug gibt einen Ton, wenn du an ihn klopfst, aber der voll Wasser verursacht kein Geräusch; er ist still, sprachlos.“ (Hazrat Inayat Khan, Das Erwachen des menschlichen Geistes, Kapitel 29)

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Reinigung der Seele

Es gibt eine Arbeit jenseits des Wissens, erkenne dies.

Arbeite nicht daran, Juwelen zu bekommen, sei mein.

Das Herz ist eine vorübergehende Bleibe, lass es und komm.

Die Seele ist der letzte Wohnsitz, erkenne dies.

Sheikh Hamid al Din Nagawri (13. Jhd. Chr. ZR)

Um sich dieser Arbeit aus ganzem Herzen widmen zu können, wird im tasawwuf/Sufismus die Praxis des tazkiyah an nafs gelehrt. Im Allgemeinen wird dieser Begriff mit ‚Reinigung der Seele‘ übersetzt. Aber wie W. Chittick beschreibt, kann dieser Begriff auch in anderem Zusammenhang verwendet werden. ,Die Mutualität dieser beiden Bedeutungen kann in unterschiedlichen Ansätzen der Verwendungen des Wortes tazkiya angenommen werden. Aus den Wörterbüchern entnimmt man, dass es sowohl für das Aussäen von Pflanzensamen als auch für das Aufziehen von Nutztieren benutzt werden kann, beides hat weder mit Reinigen noch mit Verfeinern zu tun, sondern mit etwas, was diese beiden Bedeutungen verbindet. Wenn Samen in die Erde eingebracht werden, reinigt sie dies von fremden Anhaftungen und gibt sie der Gnade Gottes preis  – Erde, Wasser und Sonnenlicht. Dies bringt den Samen den Anstoß zum Vermehren und Wachsen. Jene, die den Samen einpflanzen, ‚reinigen‘ ihn weder, noch ‚verfeinern‘ sie ihn. Vielmehr bringen sie ihn in eine Situation, in der er gedeiht, wächst und sein eigenes Potential hervorbringt. Deswegen bedeutet tazkiyat an-nafs nicht nur ‚Reinigen der Seele‘ sondern auch, der Seele das Wachsen und Gedeihen durch das Öffnen für die Gaben Gottes zu erlauben. Eine treffendere Übersetzung ist wahrscheinlich ‚das Kultivieren der Seele‘. (aus – Sufism: A Beginner‘s Guide.)

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Begriff und Bedeutung

Seit Längerem wird über die ‚wahre‘ Bedeutung des Wortes ‚Sufi‘ diskutiert. Nur über eins kann man sich wohl ohne Zweifel im Klaren sein. Das Wort ‚Sufismus‘ ist eine Schöpfung des beginnenden Orientalismus des 19. Jahrhunderts und kann nicht auf alte Quellen zurückverfolgt werden. Die Sufis selbst verwenden den Begriff tasawwuf, um die ‚Lehre‘ und den Weg der Sufis zu bezeichnen.

Wer oder was nun ein Sufi ist, und worin dessen Kennzeichen bestehe, wird oft mit dem alten Aphorismus beantwortet: „Frage 100 Sufis, was ein Sufi ist und du wirst 101 Antworten erhalten.“

Hier folgt nun eine dieser Antworten. Alle 100 Sufis sind sich wohl darüber einig, dass die Bezeichnung ‚Sufi’ keinen etymologischen Bezug zum griechischen Wort sophia (Weisheit) besitzt. Die Ansicht, dass sophia der Bezug sei, wird ausschließlich von Vertretern Neo-Sufischer Organisationen vertreten, die damit eine Legitimation für ihre Sichtweise des tasawwuf herstellen möchten, dass der ‚Sufismus’ vollkommen losgelöst vom Islam existiere und nichts mit jenem gemein habe.

Neben verschiedenen weiteren möglichen Ableitungen wird heute überwiegend davon ausgegangen, dass sich das Wort ‚Sufi‘ von dem arabischen Wort ṣūf ‏صُوف‎ – „Schurwolle“ ableitet. Meist wird in diesem Zusammenhang auf das Gewand aus Schurwolle hingewiesen, das die ‚Sufis‘ anscheinend seit Beginn ihres Auftauchens trugen. Irritierend und gleichzeitig erhellend ist die Tatsache, dass in Quellen aus dem elften Jahrhundert, wie zum Beispiel, den Schriften von Hujwiri erklärt wird, dass es keine etymologische Erklärung für das Wort ‚Sufi‘ gibt.

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