Viele leitende Personen innerhalb von Neo-Sufischen Organisationen wie dem Internationalen Sufiorden und seinen lokalen Zweigen, sehen keine abstammungsgeschichtliche Verbindung von Sufismus und Islam und behaupten, Sufi sein zu können, ohne eine Verbindung zum Islam haben zu müssen. Ihrer Meinung nach ist der Sufismus eine uralte Weisheit. Entgegen der meist üblichen Annahmen leiten sie den Begriff Sufismus vom griechischen Wort Sophia (Weisheit) ab. Eine Weisheit, die den Menschen bereits vor der Zeit der Religionen bekannt gewesen sei.
Es gibt LeiterInnen im Sufiorden Deutschland, die sich seit Jahren konsequent weigern, auch nur das Wort „Allah“ oder irgendein anderes arabisches Wort in den Mund zu nehmen. Nur und allein die Worte des Ordensgründers Pir-o-Murshid Hazrat Inayat Khan sind für sie akzeptabel.
In Unkenntnis der Fakten verwenden sie allerdings oft Termini von Hazrat Inayat Khan, die aus dem Arabischen/Islamischen stammen und für ihn aufgrund seines kulturellen Hintergrundes selbstverständlich und Bestandteil seines Lebens waren. Zu gerne vergessen sie den kulturellen Hintergrund Hazrat Inayat Khans und basteln sich einen Hintergrund zusammen, der den Ursprung von Hazrat Inayat Khans Lehre komplett ausblendet. Zudem werden diese Termini meist in Unkenntnis der ursprünglichen Bedeutung verwendet.
Diese, im günstigsten Fall ungewollte, Faktenunkenntnis ist anscheinend leider ein typisches Merkmal Neo-Sufischer Organisationen. Mit einiger Freundlichkeit könnte man die Faktenunkenntnis als Naivität bezeichnen. Ein klassisches Beispiel findet sich in der Einleitung eines Buches von Prof. Dr. Annemarie Schimmel.
„Sufi“- schrieb eine amerikanische Studentin in den Fragebogen, Spalte ‚Konfession‘, der für das Seminar in Religionsphänomenologie zwecks Statistik ausgelegt war.
„Sufi?“ fragte ich. „Was tun Sie denn da?“ „Nun, wir tanzen Sufi- Tanz, und wir lesen Rumis Gedichte!“ „Können Sie denn Persisch?“ „Nein, wieso? Es gibt doch Rumi auf Englisch!“ Nun, die philologisch getreue Übersetzung von Dschalaladdin Rumis großem Lehrgedicht, dem Mathnawí, überträgt zwar den Inhalt korrekt und makellos, lässt aber kaum etwas von der Schönheit der Poesie ahnen; und bei den sehr freien Übertragungen auf Grund englischer Prosaübersetzungen wird oftmals der Sinn verbogen, die wunderbaren Wort und Sinnspiele übergangen. Ich seufzte.
„Haben Sie denn auch den Koran studiert?“ fragte ich das Sufi-Mädchen. Sie sah mich ungläubig an: „Wieso? Wir sind doch Sufis, keine – wie sagt man – Mohammedaner …!“ Ich schüttelte den Kopf. „Ein Sufi ist aber ein muslimischer Mystiker!“ erwiderte ich. „Ach nein, wir lieben alle Religionen. Es kommt doch nur auf die Liebe an …!“ sagte sie strahlend. Noch einmal versuchte ich es: „Was wissen Sie denn vom Propheten Muhammad?“ Wie ich gefürchtet hatte, wusste sie gar nichts über ihn, der für jeden genuinen Sufi der Bezugspunkt seiner Initiationskette, der erste wahre Sufi überhaupt ist. Und so gab ich auf.
(Schimmel, Prof. Dr. Annemarie, Sufismus – eine Einführung in die islamische Mystik, S.6)
In meiner Einschätzung ist der Weg der Sufis nicht als „Neue Religion“ zu sehen, sondern als Ausformung der im Islam innewohnenden Toleranz, Liebe, Achtung und Wertschätzung Gottes Schöpfung gegenüber, auch wenn dies oft in der äußeren Form leider nicht so gelebt wird.
Immer wieder feststellbar ist ein erschreckender Mangel an Grundlagenwissen über den „Sufismus“ in Neo-Sufischen Organisationen wie dem Sufiorden – aber nicht nur alleine dort, wie es zum Beispiel auch Hamid Molla-Djafari im zweiten Kapitel seines exzellenten Buches „Gott hat die schönsten Namen…“ so treffend beschreibt. (ISBN 978-3-86386-386-9)
Ich bin Herrn Hamid Molla-Djafari sehr dankbar für seine Klarstellung eines in Neo Sufischen Gruppen weit verbreiteten Irrtums.
„Wenn ich Ihnen einen Vorschlag machen darf: Bitte sprechen Sie stets von Gottesnamen
und nicht von vasifa (od. Mehrzahl vasaif). Das Wort vasifa hat sich leider in diesem Sufiorden in irriger Verwendung verbreitet. Diese Verwendung ist aber falsch. Vasifa bedeutet Pflicht und hat mit Gottesnamen als solche überhaupt nichts zu tun. Ich nenne Ihnen zur Erläuterung der Wortbedeutung beispielhaft einige Pflichten/Aufgaben (vasaif), damit die Sache klar wird:
Pflicht der Eltern, für ihre Kinder zu sorgen,
Pflicht aller jungen Männer, den Wehrdienst zu leisten,
Pflicht eines Arztes, den Patienten zu behandeln,
Pflicht aller Beamten, den Staat zu dienen,
Pflicht der Kinder für ihre Eltern und Großeltern zu sorgen
und viele andere Tätigkeiten, die Pflicht/Aufgabe sein können.
Wie Sie sehen, hat vasifa in seiner eigentlichen Bedeutung mit Gottesnamen nichts gemein.
Wenn nun ein Höherrangiger einem Unterrangigem eine Aufgabe gibt, dann ist es die
Pflicht (vasifa) des Unterrangigen, diese Aufgabe zu erfüllen. Wenn z.B. ein Pir (= Alter, Oberhaupt eines Sufiordens) einem Adepten eine Aufgabe gibt, dann ist es die Pflicht (vasifa) des Adepten, diese Aufgabe zu erfüllen. Also kann vasifa sein: zu fasten od. nicht zu sprechen od. irgendwelche Tätigkeiten durchzuführen od. bestimmte Gebete zu wiederholen, bestimmte Gottesnamen als zikr zu wiederholen, bestimmte heilige Personen zu besuchen, und viele anderen Aufgaben.
Einen bestimmten Gottesnamen als zikr zu wiederholen kann also z.B. ein vasifa, also eine Aufgabe/Pflicht sein. Deshalb ist vasifa aber nicht mit einem Gottesnamen gleichzusetzen.
Daher bitte ich Sie, vasifa nicht als Synonym für Gottesnamen zu verwenden. Das ist
ganz falsch.“
Im Grunde gibt es dazu nur eins zu sagen:
der Mann hat recht.