Hazrat Inayat Khan und Christop Kolumbus teilen ein ähnliches Schicksal. Beide wurden lange Zeit in ihrem Bereich als ,Erster’ bezeichnet und sind eigentlich jeweils wegen anderer Dinge wichtig. Bei beiden besteht inzwischen kein Zweifel, dass sie nicht ,Erste’ waren. Sie waren noch nicht mal ‚Zweite‘. Und es gibt eine Menge weiterer Parallelen.
Bei Kolumbus stellte sich inzwischen heraus, das Amerika weit vor ihm von Europäern ,entdeckt’ worden ist. Die Wikinger haben nachweislich lange vor Kolumbus Seereisen von Europa aus nach Amerika unternommen. Aber selbst wenn die Wikinger als ,Erste’ gelten sollten, offenbart sich damit nur der eurozentrische Blickwickel des Kolonialismus. Sowohl die Wikinger als auch Kolumbus trafen in Amerika auf Menschen. Diese sogenannten ,Indianer’ haben den Erdteil weit vorher entdeckt, denn sonst wären sie dort nicht angetroffen worden. Ihnen gebührt ohne Zweifel die ,Erstheit’, wenn es denn unbedingt eine geben muss.
Diese ,Erstheit’ hat tragischerweise die eigentliche Leistung von Kolumbus überlagert. Seine großartige Leistung bestand eher darin, dass er entdeckte, dass es ein Windsystem gibt, das ihn von Ost nach West transportierte und umgekehrt. Eine Art Pater Noster, der für eine relativ problemlose Reise hin und zurück sorgt. Alle Atlantiküberquerungen nach Kolumbus stützen sich auf diese Erkenntnis. Eine Erkenntnis, die danach perfektioniert wurde und letztendlich die Welt grundlegend veränderte.
In der ‚Erstleistung‘ von Hazrat Inayat Khan liegt ein vergleichbarer Fall vor. Abgesehen davon, dass es einem ,Sufi’ wohl schwerlich einfallen würde, für sich das Attribut des ,Erster-Sein’ zu reklamieren, sind auch hier der Ansatz und die Leistungsebene ähnlich.
Im Fall von Hazrat Inayat Khan stellen sich ebenfalls eingangs einige Fragen. In etlichen Veröffentlichung, z.B. auch bei einer der ,offiziellen’ Webseiten der tariqa, die sich in der Nachfolge von Hazrat Inayat Khan versteht, oder vielen einleitenden Worten für Bücher zum Thema Hazrat Inayat Khan wird immer wieder ausgeführt, dass er der ,erste Lehrer’ gewesen sei, der DEN ,Sufismus’ in den ,Westen’ gebracht habe.
Auch hier zeigt sich, wie im Fall Kolumbus, die kolonialistische, eurozentrische / us-amrikanische Sichtweise. Der ,Westen’ wird hier als ein sehr begrenztes Gebiet angesehen. Aber selbst in der Begrenzung auf unstrittig europäische Gebiete haben wir es mit einem Territorium zu tun, in dem über Jahrhunderte hinweg eine islamische Staatsführung gegeben war. Als herausragendes Beispiel kann hier der berühmte Sufi-Meister Gül Baba gelten. Gül Baba hat im 16. Christlichen Jahrhundert nachweislich im heutigen Ungarn gewirkt. Ein Wikinger, um den Vergleich mit Kolumbus zu bemühen. Im gesamten Balkan, der ja zu Europa und damit dem ,Westen’ gezählt wird, gibt es seit der Zeit der osmanischen Herrschaft bis heute das Wirken islamischer Sufiorden wie der Bektashis und etlicher anderer. In den strittigen Bereichen des Kaukasus, die je nach Sichtweise zu Europa und damit dem ,Westen’ gehören könnten, ergeben sich etliche weitere Möglichkeiten, das ,Lehrer’ weit vor Hazrat Inayat Khan im ,Westen’ tätig waren. In diesem Zusammenhang soll ein Schritt in die weitere Vergangenheit Europas nicht unterbleiben. Der wohl größte ,Sufi- Meister’ Ibn Arabi stammt aus dem heutigen Spanien. Er erhielt dort seine grundlegende Ausbildung, im Übrigen wohl von Frauen, was auf ein Vorhandensein von Lehrtätigkeit im ,Westen’ weit vor Hazrat Inayat Khan hindeutet.
Damit ist der Punkt erreicht, an dem der Vergleich schlagend wird. Ähnlich der Verkennung der ,wahren’ Leistung des Christoph Kolumbus wird auch die Beschreibung des Hazrat Inayt Khan seiner m.E. wirklichen Leistung nicht gerecht. Er war nicht bei Weitem nicht der ,Erste’, der den ,Sufismus’ in den ,Westen’ brachte. Aber ähnlich der Entdeckung des Windsystems durch Kolumbus, brachte Hazrat Inayat Khan die Entdeckung des ,Universellen Gottesdienstes’ in den Westen und die Welt. Dafür gebührt ihm unser Dank und unsere größtmögliche Anerkennung.