Rausch ist nicht unbedingt Vereinigung

Bei den Sessions auf einem Meditations-Camp in England, aber nicht nur dort, war ein Phänomen zu beobachten, bei dem die englischen Freunde die Bezeichnung ‚Space-Cadet’ verwendeten. Gemeint ist das Auftreten von Trance bei Teilnehmern von spirituellen Übungen.

In der Folge stellte sich die Frage, ob Trance mit einem Zustand von ‚samadhi’ oder ‚fana/baqa’ vergleichbar ist. Ob ‚samadhi’ und ‚fana/baqa’ vergleichbar sind, kann sicher nur jemand beantworten, der beide Zustände aus eigenem Erleben kennt. Ansonsten bliebe es Spekulation. Allerdings gibt es einen Unterschied zwischen ‚Trance’ und ‚Meditation’ oder deren Zielrichtung.

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Begriffe sind Begriffe

Viele leitende Personen innerhalb von Neo-Sufischen Organisationen sehen keine abstammungsgeschichtliche Verbindung von Sufismus und Islam und behaupten, Sufi sein zu können, ohne eine Verbindung zum Islam haben zu müssen. Ihrer Meinung nach ist der Sufismus eine uralte Weisheit. Entgegen der meist üblichen Annahmen leiten sie den Begriff Sufismus vom griechischen Wort Sophia (Weisheit) ab. Eine Weisheit, die den Menschen bereits vor der Zeit der Religionen bekannt gewesen sei.

Es gibt LeiterInnen im Sufiorden Deutschland, die sich seit Jahren konsequent weigern,  auch nur das Wort „Allah“ oder irgendein anderes arabisches Wort in den Mund zu nehmen. Nur und allein die Worte des Ordensgründers Pir-o-Murshid Hazrat Inayat Khan sind für sie akzeptabel.

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Einheit in der Vielheit

„Es gibt nicht Ödes, nichts Unfruchtbares, nichts Totes in der Welt, kein Chaos, keine Verwirrung, außer einer Scheinbaren, ungefähr wie sie in einem Teiche zu herrschen schiene, wenn man aus einiger Entfernung eine verworrene Bewegung und sozusagen ein Gewimmel von Fischen sähe, ohne die Fische selbst zu unterscheiden“ – Gottfried Wilhelm Leibniz, Monadologie § 69

Der Sufismus / tasawwuf beinhaltet in sich selbst den Begriff und die Auffassung der Universalen Einheit. Diese Einheit wird in einem der ‚Gottesnamen‘ als al-wāḥid / الواحد (Der Eine) bezeichnet. Als Einheit gilt der / die/  das Eine, dass sich aus Seiner Gesamtheit zusammen setzt, so wie die Teile eines Puzzles in ihrer Gesamtheit das Bild ergeben. Der Qur’an, auf dem die Lehren des Sufismus / tasawwuf, wie wir in seiner Ausprägung seit dem siebten Jahrhundert westlicher Zeitrechnung kennen, beruhen und darin tief verwurzelt sind, gibt es dazu die Aussage, dass wir die Einheit nicht als ein undifferenziertes Etwas betrachten sollen. Dies würde im Grunde der Göttlichen Schöpfung widersprechen, denn: „3. ER hat den Menschen erschaffen. 4. ER hat ihn artikuliertes Denken und Reden gelehrt. (4. allamahu l-bayân)“ (Qur’an 55: 3/4). Im Qur’an wird hierfür der Ausdruck bayân verwendet. Dieser Begriff schliesst das geistige Vermögen ein, eine Sache oder auch eine Idee deutlich zu machen oder begrifflich unterscheiden zu können. Dies wird in ähnlicher Weise auch in der zweiten Sure, Vers 31 des Qur’ans betont. Die dortige Aussage: „und ER lehrte Adam die Namen aller Dinge…“ ist nicht absolut wörtlich zu nehmen, sondern schlußfolgernd als Fähigkeit zu logischer Begriffsbestimmung und begrifflichem Denken zu betrachten.

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Der Spiegel des Menschen

Zur Zeit ist es im Westen aus verschiedenen Gründen en vogue, den Islam und gleichzeitig den Qur’an zu bashen. Teils geschieht dies aus Marketinggründen, wie zum Beispiel bei Alice Schwarzer und anderen, um neu erschienene Bücher zu promoten. Und damit die Verkaufszahlen zu erhöhen, die ansonsten diese zur Zeit unbedeutenden, alternden ‚Popstars’ nie erreichen würden. Mit dem Schüren von unbewussten Ängsten wird hier manipulativ ein Bedrohungsszenario aufgebaut, dass meist jeder Faktenlage entbehrt. Das Marketingprinzip der Sarrazinierung greift hier voll. Noch vor etwa 20 Jahren wären entsprechende Publikationen in der berechtigten Bedeutungslosigkeit versunken, da sie keine Pawlovsche Glocke darstellten. Die Zeiten haben sich jedoch geändert.

Teils geschieht dies aber auch aus politischen Gründen, da nach dem Wegfall des Feindbildes ‚Kommunismus‘ ein anderes Feindbild herhalten musste. Dieses Feindbild wird benötigt, um vom Erkennen der wirklich bedeutungsvollen Gegensätze abzulenken. Feindbilder und die entsprechende Konditionierung helfen in der Auseinandersetzung von der tatsächlichen Konfliktlage abzulenken. Das taktische Motto ‚teile und herrsche‘ postulierten bereits die antiken Römer.

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Das Walnussgleichnis

Diese irdische Welt ist eine Karawanserei auf dem Wege zu Gott, und alle Menschen finden sich in ihr als Reisegenossen zusammen. Da sie aber alle nach demselben Ziele wandern und gleichsam eine Karawane bilden, so müssen sie Frieden und Eintracht miteinander halten und einander helfen und jeder die Rechte des anderen achten. (Al-Ghazālī, Das Elixier der Glückseligkeit, Einleitung zum Kapitel- von dem rechten Umgang mit den Menschen, S. 75)

Wer einmal eine Reise mit einer bunt zusammengewürfelten Reisegruppe unternommen hat, weiß, dass ‚Frieden und Eintracht‘ in einer solchen Gruppe nicht einfach so entstehen. Ohne ein Regelwerk entgleitet jede Reise schnell zu einem Höllentrip. Ein solches Regelwerk wird auch für die spirituelle Reise benötigt, und zwar nicht nur für die Gruppe insgesamt, sondern auch für einen Einzelnen. Damit eine Reise gelingen kann, zumindest wenn sie ein Ziel hat, benötigt der Reisende einige Dinge. Zum Beispiel das Wissen um die Etappen der Reise wie Al Ghazali ausführt: „ dies alles musst Du wissen, um auch nur ein wenig von Dir selbst zu erkennen. Wer aber dies nicht weiß, der wird auf dem Weg des Glaubens Beschämung finden, und das wahre Wesen der Religion wird ihm verborgen bleiben. (Al-Ghazālī, Das Elixier der Glückseligkeit, aus dem Kapitel – von der Selbsterkenntnis, S, 36/37)

Der berühmte Sufi-Meister Abū Ḥāmid Muḥammad ibn Muḥammad al-Ghazālī stellt in seiner Schrift „Kimiya-yi Sa’ādat (Persisch: كيمياى سعادت, Das Elixier der Glückseligkeit) die Analogie der menschlichen Entwicklung im religiösen Kontext des Islam und einer Walnuss dar.

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Klage und Selbsterkenntnis

„Du beklagst dich bei Gott, über mich, Wissender, warum? Beklage dich über die Bosheit deiner verdorbenen nafs.“  Alī ibn Abī Ṭālib

Das Konzept der nafs bildet einen festen Bestandteil der Arbeit des Sufismus/tasawwuf. Immer wieder ist das Leben so freundlich und erinnert uns daran, dass es angebracht sein könnte, sich erneut mit einem vermeintlich zurückliegenden Thema zu beschäftigen. Zum Beispiel mit dem Konzept der nafs und ihrer Arbeitsweise. Beinahe amüsant wird es, wenn es sich bei dem auftretenden Anstoß um eine Materialisierung des ‚Dunning-Kruger-Effektes’ handelt.

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Hazrat Kolumbus

Hazrat Inayat Khan und Christop Kolumbus teilen ein ähnliches Schicksal. Beide wurden lange Zeit in ihrem Bereich als ,Erster’ bezeichnet und sind eigentlich  jeweils wegen anderer Dinge wichtig. Bei beiden besteht inzwischen kein Zweifel, dass sie nicht ,Erste’ waren. Sie waren noch nicht mal ‚Zweite‘. Und es gibt eine Menge weiterer Parallelen.

Bei Kolumbus stellte sich inzwischen heraus, das Amerika weit vor ihm von Europäern ,entdeckt’ worden ist. Die Wikinger haben nachweislich lange vor Kolumbus Seereisen von Europa aus nach Amerika unternommen. Aber selbst wenn die Wikinger als ,Erste’ gelten sollten, offenbart sich damit nur der eurozentrische Blickwickel des Kolonialismus. Sowohl die Wikinger als auch Kolumbus trafen in Amerika auf Menschen. Diese sogenannten ,Indianer’ haben den Erdteil weit vorher entdeckt, denn sonst wären sie dort nicht angetroffen worden. Ihnen gebührt ohne Zweifel die ,Erstheit’, wenn es denn unbedingt eine geben muss.

Diese ,Erstheit’ hat tragischerweise die eigentliche Leistung von Kolumbus überlagert. Seine  großartige Leistung bestand eher darin, dass er entdeckte, dass es ein Windsystem gibt, das ihn von Ost nach West transportierte und umgekehrt. Eine Art Pater Noster, der für eine relativ problemlose Reise hin und zurück sorgt. Alle Atlantiküberquerungen nach Kolumbus stützen sich auf diese Erkenntnis. Eine Erkenntnis, die danach perfektioniert wurde und letztendlich die Welt grundlegend veränderte.

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Die Hälfte des Himmels

In einem Newsletter von 2018 des Inayati Ordens wurde eine interessante Nachricht verbreitet, die im Grunde eigentlich längst überfällig war und doch ein deutliches Zeichen setzt. Die älteste Tochter und erstgebornes Kind von Hazrat Inayat Khan Pirzadi-Shahida Noor-un-Nisa Inayat Khan wurde als berechtigte Linienhalterin in die Kette der Überlieferung / silsila zwischen ihrem Vater und seinem Nachfolger Pir Vilayat Khan eingefügt. Die Nachricht ist von erfreulicher Sachlichkeit ohne Polemik geprägt und enthält die Begründung für diesen Schritt. Der Inayati Orden/tariqa ist zu diesem Schritt zu beglückwünschen und wird vielleicht für weitere Orden/turuq ein Beispiel sein können. Leider erfolgte dann der anscheinend übliche Schritt, dem Mitglieder der Inayatiyya offensichtlich reflexartig verfallen. In typisch Neo-Sufischer Tradition wird in einem offiziellen Rundschreiben eines Zweiges der deutschsprachigen Inayatiyya der og. Schritt als einmalig und absolut unüblich gepriesen. Es hätten im ,Geflecht der Linien der Überlieferungen soweit offiziell bekannt’ bisher ausschließlich Männer in der Überlieferungskette gestanden. Garniert wird der Text mit der Aussage, dass bis heute in vielen traditionellen SufiOrden/turuq Frauen nicht einmal Zutritt hätten.

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Lass die Menschen gedeihen

Süleyman I, der einst über ein riesiges Reich herrschte, stellte sich eines Tages die Frage, aus welchen Gründen ein Staat wohl untergehe könne. Diese Frage richtete er hilfesuchend an den Sufi-Meister Yahya Efendi, der in einem Brief lediglich antwortete: ,Was geht mich das an?’

Anstelle ihn zu bestrafen, wie es Despoten und Tyrannen üblicherweise tun, suchte Süleyman den Sheikh auf und wollte den tieferen Sinn hinter der knappen, scheinbar respektlosen Antwort erfahren.

Sheikh Yahya Efendi erklärte nun: „Wenn die Unterdrückung sich in einem Staat ausbreitet, die Ungerechtigkeit offenkundig wird und diejenigen, die davon hören, sagen: .Was geht mich das an?’, und zusätzlich die Schafe nicht von den Wölfen, sondern von den Hirten gefressen werden und diejenigen, die das wissen, schweigend vorübergehen; wenn der Hilferuf der Armen, Bedürftigen, der Alleinstehenden zum Himmel hinaufsteigt, und niemand außer den Steinen diesen Hilferuf vernimmt – nun, dann geht ein Staat unter. […] All diese Dinge fangen damit an, dass man sagt ,Was geht mich das an’. Deshalb ist es erforderlich, ,Was geht mich das an’ nicht zu sagen.“

Obwohl es im Sufismus / tasawwuf eigentlich üblich ist, sich weniger mit tagespolitischen Themen zu beschäftigen, drängt sich diese Geschichte über Sheikh Yahya Efendi aktuell auf. Die weltpolitischen Wetterlage ist dazu angetan, einen wichtigen Rat nicht aus den Augen zu verlieren, den Mullah Nasrudduin seinen Schülern einst gab. Einer der Schüler Mullah Nasruddins fragte:
„Welche Leistung ist höher zu achten: die eines Sultans, der ein fremdes Land erobert hat, die eines Sultans, der es hätte tun können, aber darauf verzichtete, oder die eines Mannes, der einen Sultan davon abgehalten hat?“

„Keine Ahnung“, sagte der Mullah, „aber ich kenne eine Aufgabe, die noch schwieriger ist als alle drei zusammen.“
„Und welche ist das?“
„Euch beizubringen, die Dinge so zu sehen, wie sie wirklich sind.“

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Außen wie Innen?

Das Leben des Menschen, der das innere Leben lebt, wird wie das Leben eines Erwachsenen, der unter vielen Kindern lebt. Dennoch scheint es nach außen hin keinen so großen Unterschied zu machen, wie er sich im unterschiedlichen Lebensalter zwischen Kindern und Erwachsenen zeigt, weil der Unterschied im Entwicklungszustand des Bewusstseins besteht, der nicht immer offensichtlich zu erkennen ist. Jemand, der das innere Leben lebt, erreicht ein viel höheres Alter als die ihn umgebenden Menschen, und dennoch ist seine äussere Erscheinung wie die jedes anderen Menschen. Deshalb eignet sich jener Mensch, der die Fülle des inneren Lebens verwirklicht hat, eine vollkommen andere Lebensführung an als derjenige, der gerade erst den Pfad betritt, oder derjenige, der intellektuell etwas über das innere Leben weiß, es aber nicht wirklich lebt. 

Aber für denjenigen, der die Fülle des inneren Lebens erreicht, ist es eine große Freude, mit seinen Mitmenschen umzugehen, so wie es für Eltern eine Freude ist, mit ihren kleinen Kindern zu spielen. Es sind die schönsten Augenblicke in ihrem Leben, wenn sie selbst  unter ihren Kindern wie Kinder fühlen und an deren Spiel teilhaben dürfen. Gütige und liebevolle Eltern werden sich so verhalten, als wurden sie Tee trinken, wenn das Kind eine Puppentasse bringt, und als wurden sie sich darüber freuen; sie lassen in dem Kinde weder den Gedanken aufkommen, dass sie etwas Besseres seien, noch, dass dies etwas ist, woran sie eigentlich nicht teilhaben sollten. Sie spielen mit dem Kind, und sind mit ihm glücklich, denn das Glück des Kindes ist auch ihr eigenes.

Dies ist die Handlungsweise eines Menschen, der das innere Leben lebt, und aus diesem Grund stimmt er mit Menschen aller Entwicklungsstufen überein und harmonisiert mit ihnen, einerlei was für Vorstellungen, Gedanken, was für einen Glauben und welches Bekenntnis sie auch haben mögen; einerlei wie sie beten oder ihre religiöse Begeisterung zeigen. Er sagt nicht: „Ich bin sehr viel! entwickelter, als ihr es seid, und mit euch zusammen zu sein, wurde für mich einen Rückschritt bedeuten.“ Derjenige, der schon so weit vorangegangen ist, kann niemals mehr zurückgehen, aber wenn er mit ihnen zusammen geht, nimmt er sie mit vorwärts. Ginge er alleine weiter, so würde er merken, dass er seiner Pflicht gegenüber seinen Mitmenschen ausweichen wurde, die er eigentlich erfüllen sollte. Der leere Krug gibt einen Ton, wenn du an ihn klopfst, aber der voll Wasser verursacht kein Geräusch; er ist still, sprachlos.“ (Hazrat Inayat Khan, Das Erwachen des menschlichen Geistes, Kapitel 29)

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