Lebendiges Atmen

„Durch die Praxis des Dhikr (Erinnern Gottes) erwecken die Sufis bestimmte Zentren, die die Art und Weise steuern, wie der mind den Körper beeinflußt, und die sonst in einem schlummernden Zustand blieben … Wir erheben uns mittels des Atems wie mit einem Aufzug zu den höheren Ebenen der Existenz, halten uns dabei an dem Seil, das der physische Körper ist, fest und kehren wieder zum Erdgeschoß zurück.“ (Hazrat Inayat Khan – Spiritual Liberty)

Es sind überzeugende Berichte erhalten, aus denen hervorgeht, dass Hazrat Inayat Khan zu seinen Lebzeiten für „Neuanfänger“ unter seinen Schüler*innen / murids im ersten „Lehrjahr“ bei spirituellen Übungen (vazifa /vazaïf) ausschließlich auf Atemübungen setzte. Die Übungen mit den Namen Gottes (asma ul husna) erfolgten, wenn überhaupt, erst zu einem späteren Zeitpunkt der Schulung.

Den Zweck der Atemübungen vergleicht Hazrat Inayat Khan mit dem Aufziehen einer Uhr, die einmal aufgezogen, ohne Antrieb weiter laufe.  Es würden durch die Übungen im Körper Kanäle geöffnet und gereinigt. Beides sei eine Voraussetzung für eine erfolgreiche, weitergehende spirituelle Arbeit.

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Vom Suchen und Finden

Dargah Suhrawardi Maqtul

Da ich bei meinen Reisen in entsprechenden Ländern den Brauch des „Besuches der Gräber“ (ziyarat al-qubur) praktiziere, habe ich dies auch bei meinen vielen Aufenthalten in Syrien so gehalten. Nach der Beschäftigung mit dem Werk „Die Weisheit (Philosophie) der Erleuchtung (Ḥikmat al-išrāq)“ von Schihab ad-Din Yahya Suhrawardi, versuchte ich in Aleppo / Halab sein Grab zu finden, das sich dort befindet.

Dabei traten in all den Jahren des Suchens nur Fehlschläge auf. Niemand schien zu wissen, wo sich das Grab befindet. Bei einem Aufenthalt im Jahr 2005 schien sich ein Durchbruch anzudeuten. Es gab einen relativ konkreten Hinweis, wo ich mich melden könne, um den Schlüssel zu dem Mausoleum und Zutritt zu erhalten. In der Nähe der Zitadelle, in einer Parallelgasse zur Hawl al Qalaa Straße, befände sich ein Reisebüro, dort solle ich nachfragen. Von meinem üblichen Hotel im Basar in der Nähe des Bab Antakiya aus keine weite Strecke.

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Der Hund des Derwisch

Gefühlt gibt es im Internet mehr Katzenvideos als Hundevideos. Die Fakten sagen etwas anderes. Etwa 23 % der Tiervideos auf YouTube sind Hundevideos, 16 % dagegen Katzenvideos. Ein ähnliches Verhältnis zeigen auch in fast alle anderen „Sozialen Medien“.

Eine weitere Eigentümlichkeit scheint sich im Verhältnis von Islam und Hunden anzudeuten. Herrscht doch meist die Ansicht, dass im Islam Hunde schon immer generell als unrein gelten und daher abzulehnen sind.

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Die Katze des Derwisch

Internet und Katzen sind zwei Dinge, die anscheinend untrennbar miteinander verbunden sind. Aber auch den Sufismus / taswwuf und Katzen verbindet seit vielen Jahrhunderten eine tiefe Beziehung.

Bis zum Ausbruch des aktuellen Krieges besuchte ich über Jahrzehnte hinweg mindestens einmal jährlich Syrien. Einer meiner ersten Wege in Damaskus führte mich dann regelmäßig in die Süleyman-Tekkiyye in Damaskus. In der kleinen Moschee, die zu dem Komplex gehört, gab es über lange Jahre hinweg einen alten Imam. Als ich ihn kennenlernte, war er bereits über achtzig Jahre alt. Ein kleiner, schmächtiger Mann, der mir grade bis an die Schulter reichte.

Ursprünglich stammte er aus Algerien, lebte aber wohl schon sehr lange in Damaskus. Ein ehemaliger Freiheitskämpfer und Geldeintreiber für die algerische Freiheitsbewegung, wie mir die Leute im Kunsthandwerksbasar der Anlage verstohlen zuflüsterten. Aber nicht alle Informationen erhielt ich verstohlen. Einer der Kunsthandwerker beschwerte sich bei mir offen über den Imam. Der Imam leite das Gebet falsch an, verwechsle Textpassagen und Bewegungsabläufe. Im Gespräch wurde allerdings sehr schnell klar, dass sich der Handwerker selber Ambitionen auf die Tätigkeit als Imam der Moschee machte.

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Kann man Knigge knicken?

„Gute Manieren bestehen aus lauter kleinen Opfern“ schrieb Ralph Waldo Emerson. Aber sind Opfer noch zeitgemäß, selbst wenn sie nur klein sind? Manche Ereignisse lassen leise Zweifel dazu aufkommen. Aber ist zeitgemäß gleichbedeutend mit „richtig“?

 

Anstand ist ein Kennzeichen derer, welche Gott liebt.“hadīth

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Die Weisheit der Narren

Wenn man sich längere Zeit mit dem Sufismus / tasawwuf beschäftigt, bleibt es nicht aus, dass man der „Figur“ Nasr-ud-din begegnet. Je nach Region trägt er verschiedene Namen. In der Türkei ist er etwa als Hodscha Nasreddin bekannt. Im Indo-Pakistanischen Gebiet gibt es eine Figar namens Watayo Faqir, im persischen Kulturkreis firmiert er unter Mollah Nasruddin, im arabischen oft nur unter seinem Namen ohne Titel. Hinter der Maske des „Narren“ vermittelt Nasr-ud-din Weisheit und Erkenntnis. Die Sufis werden in diesem Sinne oft als Narren bezeichnet, weil ihre Erkenntnisse meist dort angesiedelt sind, wo gewöhnliche Intelligenz oder akademische Bildung nicht greifen.

In der Einführung zu einem Buch von Idris Shah heißt es: „Was engstirnige Denker Weisheit nennen, halten Sufis oft für Unsinn, und sie bezeichnen sich daher manchmal selbst als ,Narren’. Durch einen Glücksfall hat das Wort für den ,Heiligen’ (wali), gemäß der Entsprechung von Buchstaben und Zahlen im Arabischen, den gleichen numerischen Wert wie das Wort für den ,Narren’ (balid). Wir haben also doppelten Grund, die großen Sufis als unsere eigenen Narren anzusehen.” Es kursieren hunderte dieser Geschichten, die teils in der breiten Öffentlichkeit als Witze, sogar in Boulevardzeitungen, erzählt werden, oder aber als Lehrgeschichten von Sufiorden / turuq verwendet werden. Ein Mythos besagt, dass sieben dieser Geschichten, in der richtigen Reihenfolge erzählt, zur Erweckung führen könnten. Neben der Geschichte, in der Nasr ud din im Schein einer Laterne seinen an anderer Stelle verlorenen Schlüssel sucht, dürfte die folgende Geschichte eine der bekanntesten sein.

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Eins schreiben

Ein Junge wurde eingeschult. Zusammen mit den anderen Kindern bekam er seinen ersten Unterricht. Die erste Aufgabe bestand darin, eine grade Linie zu ziehen: die Ziffer „Eins“.

Aber als alle anderen Kinder bereits zu anderen Zahlen weitergegangen waren, fuhr der Junge immer noch damit fort, die gleiche Ziffer zu schreiben. Nach zwei Tagen fragte ihn der Lehrer: „Bist du mit deiner Aufgabe nun fertig?“ Der Junge antwortet: „Nein, ich schreibe immer noch die Eins.“

Er schrieb so weiter, bis ihn der Lehrer am Ende der Woche wieder fragte: „Bist du nun fertig?“ Und der Junge antwortet: „Nein, ich bin immer noch nicht fertig.“ Der Lehrer hielt ihn für einen Idioten, der nicht lernen wollte oder es nicht konnte und schickte ihn nach Hause.

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Die Erbschaft

Am Neujahrstag 2016 platzte eine kleine Bombe. Pir Zia Inayat Khan verkündete per Email und Video, dass der .Internationale Sufiorden’ ab Jahresbeginn 2016 einen neuen Namen führen wird. Die Begründung dafür, zukünftig den Namen „Inayati-Orden“ zu führen, klingt absolut schlüssig und einleuchtend.

Die inzwischen eingestellte Initiative der „Whistleblowing Sufis“ hatte schon sehr viel früher mit Nachdruck den Vorschlag unterbreitet, sich in Sinne von Pir Vilayat Khans Testament eher „Pupils of Hazrat Inayat Khan“ zu nennen. Die jetzt erfolgte Umbenennung zollt diesem Vorschlag nachträgliche Anerkennung.

Tatsächlich ist die Umbenennung als eine Umsetzung des ‚Letzten Willens‘ Pir Vilayat Khans zu sehen und daher zu begrüßen.
Wir sollten uns die Schüler von Hazrat Inayat Khan nennen und darauf verzichten, Sufi-Movement oder Sufi-Orden oder Ruhaniyat zu erwähnen.“ Pir Vilayat Khan 26.04.2004

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Der Dhikr der sieben Stellvertreter

Der Leib ist wie Maria. Jeder von uns hat einen Jesus, aber ehe sich in uns kein Schmerz zeigt, wird unser Jesus nicht geboren. Wenn der Schmerz niemals kommt, geht Jesus zu seinem Ursprung zurück auf demselben geheimen Weg, wie er gekommen war und wir bleiben beraubt und ohne Anteil an ihm zurück.“ Jalal-ud-din Rumi (übersetzt von Schimmel, Annemarie in „Meine Seele ist eine Frau – das Weibliche im Islam“, Kösel Verlag, 1995, Seite 96)

Dhikr (arab: ‏ذكر‎, auch: Zikr/Zekr) bedeutet wörtlich ‚Gedenken, Erinnerung’. Gemeint ist damit die intensive Erinnerung an das Göttliche und dessen Anwesenheit. Der Dhikr gilt als eine Art Werkzeug dafür, sich dieser göttlichen Anwesenheit bewusst zu werden.

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Universeller Gottesdienst und der Heilige Geist

„Wenn Du Angst davor hast, von Gott vereinnahmt zu werden, meditiere nicht. Sitze auf keinen Fall still.“ (frei nach Jiyu Kennett Roshi)

Im Anfang des Jahres 2009 hatte Assad Splieth auf der Leiterliste des Sufi Orden Deutschland (SOD) als konstruktive Initiative darum gebeten zu dem Thema „was ist das, die Botschaft unserer Zeit?“ Beiträge einzuschicken, um eine Debatte über die Zukunft des Sufi Ordens anzuregen. Der Rücklauf war ernüchternd. Insgesamt sechs LeiterInnen haben sich an dieser Initiative beteiligt und Antworten eingeschickt. Der Rest wartet anscheinend lieber auf die vorgefertigten Ergebnisse der vom Vorstand angekündigten Visionssuche.

Assad schrieb dann im April 2009 in seiner Antwort und Auswertung: „Ich möchte mich für euer aller Teilnahme bedanken. Aus euren Beiträgen habe ich gelernt (und hätten mehr sogenannte Leiter /innen teilgenommen, hätten wir das uns verbindende großartige Netz in diesem Austausch weitaus verzweigter entdecken und erforschen können; so hat das Netz „nur“ 6 Knoten). Ich habe gelernt: die Botschaft hat eine objektive, zeitlose Dimension, die sich der Beschreibung entzieht, und doch zu allen Zeiten der Menschen Sehnsucht und Nöte beantwortet. Es fällt uns schwer über so etwas innig Heiliges zu sprechen.“

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